Die Nachricht ging zwar durch die Presse, erregte aber wenig Aufsehen: Sie kündete, Anfang 1971, von der Gründung des „Instituts für Test- und Begabungsforschung“, und zwar durch die Studienstiftung des deutschen Volkes, die größte deutsche Einrichtung zur Förderung begabter Studierender. Mit diesem Akt wurde die Entwicklung des ersten wissenschaftlich fundierten Studierfähigkeitstests im deutschen Sprachraum eingeleitet.

Waren die Ziele des Instituts für Test- und Begabungsforschung bereits bei dessen Gründung äußerst ambitioniert, so war die Ausstattung anfangs sehr bescheiden. Es bestand aus mir, einem frisch diplomierten Psychologen und ehemaligen Stipendiaten der Studienstiftung mit dem fachlichen Schwerpunkt auf Eignungsdiagnostik und Pädagogischer Psychologie, und zwei studentischen Hilfskräften.

Wie sollte dieser Grünschnabel einen Studierfähigkeitstest entwickeln, für den es in Europa kein Vorbild, kein Modell gab – und kaum wissenschaftliche Untersuchungen darüber, was denn „Studierfähigkeit“ eigentlich sei, geschweige denn, wie man sie auf objektive Weise messen könnte. Ganz einfach: Man ging dorthin, wo es bereits eine jahrzehntelange Erfahrung mit solchen Studierfähigkeitstests und eine reiche Forschungsliteratur zum Thema gab: in die USA. Also besuchte ich im Auftrag der Studienstiftung ein halbes Jahr lang alle dortigen Institutionen, die mit der Entwicklung, Durchführung, Auswertung und Evaluation von Studierfähigkeitstests zu tun hatten, schaute mir die vorliegenden Test- und Aufgabentypen an, führte zahllose Interviews mit den einschlägigen Spezialisten und wühlte mich durch Berge von Studien.

Der erste Studierfähigkeitstest im deutschen Sprachraum

Kurz darauf stand der erste Test bereit und wurde zur Vor-Auswahl unter den Kandidatinnen und Kandidaten für ein Stipendium der Studienstiftung eingesetzt. Nach einer längeren Unterbrechung ist der Test, in neuem Gewande und als Onlinetest, seit 2010 wieder Teil des Auswahlprogramms der Studienstiftung.

Bald kamen weitere Testverfahren hinzu, entwickelt im Auftrag der Öffentlichen Hand, so zum Beispiel eine ganze Batterie von Beratungstests zur Orientierung von Studierwilligen bei der Fachwahl.

Mit der Testentwicklung einher gingen umfängliche Forschungsarbeiten. Sie brachten Aufschlüsse darüber, was die Eignung für die verschiedensten Studiengänge und Berufsfelder ausmacht und wie sich diese Eignungs-Fassetten objektiv und treffsicher erfassen lassen. Hinzu kamen gesonderte Studien zum Thema der Hochbegabung. Die Ergebnisse all dieser Untersuchungen fanden internationale Beachtung.

Das spektakulärste Projekt

War das Institut in seinen Anfangsjahren nur in Fachkreisen bekannt, änderte sich das in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre radikal, als es von Bund und Ländern mit der Entwicklung des „Tests für medizinische Studiengänge“ (TMS) und des „Tests für den Studiengang Pharmazie“ (TSP) beauftragt wurde. Der TMS war politisch höchst umstritten und brachte das Institut für Test- und Begabungsforschung in die Schlagzeilen. Der TSP hingegen wurde aufgrund mangelnder Nachfrage zunächst nicht eingesetzt. Erst ganze 40 Jahre später wurde er praxisrelevant, als Teile von ihm in den 2019 entwickelten Pharmazie-Studieneignungstest PhaST eingingen.

Die Ausgangslage

Bereits in den sechziger Jahren hatten rapide steigende Bewerberzahlen, mit denen der Ausbau der universitären Kapazitäten nicht Schritt halten konnte, vor allem in den medizinischen Fächern eine Auswahl vor den Pforten der Universität unumgänglich gemacht. Dabei waren die Verfahrensweisen von Hochschule zu Hochschule höchst unterschiedlich. 1972 verlangte das Bundesfassungsgericht einheitliche Kriterien bei der Zulassung zu Studiengängen mit hohem „Bewerberüberhang“ (im Jargon der Kultusbürokratie). Das waren hauptsächlich die Abiturdurchschnittsnote (die auf bis zu zwei Nachkommastellen berechnet wurde!) und die Wartezeit (ein Unikum weltweit). Die Folgen sind bekannt: Unmittelbare Zulassung erhielt nur, wer Spitzennoten im Abitur vorweisen konnte; die Wartezeiten erreichten eine Dauer, in der ein komplettes Studium hätte absolviert werden können, und viele, die nicht gleich zum Zuge kamen, wichen auf einen benachbarten, Numerus-clausus-freien Studiengang aus („Parkstudium“). Hinzu traten Probleme der Vergleichbarkeit der Abitur-Durchschnittsnoten von Bundesland zu Bundesland.

In seinem zweiten Numerus-clausus-Urteil von 1977 forderte das Bundesverfassungsgericht deshalb die Länder auf, das Vergabeverfahren durch ein verbessertes Prozedere zu ersetzen. Als weiteres Element wurde erstmals ein Test zur Erfassung studienfachbezogener Fähigkeiten und Kenntnisse erwähnt.

Der Streit um den Test

Kaum wurde die Idee, einen Studierfähigkeitstest bei der Zulassung zum Studium zu verwenden, auch nur erwogen, entbrannte die Diskussion darüber in einer Schärfe, die in der deutschen Bildungsgeschichte ihresgleichen sucht.

Gestritten wurde auf politischer Ebene: Je nachdem, welche Partei in einem Bundesland die Regierung stellte, wurde der Test befürwortet oder vehement abgelehnt. Die Test-Gegner argwöhnten,

  • dieses Instrument benachteilige bestimmte Bewerbergruppen;
  • es begünstige Angehörige sozial privilegierter Schichten;
  • es messe dasselbe, was bereits in den Abiturnoten ausgewiesen sei, und sei deshalb überflüssig;
  • es sei in hohem Maße trainierbar; wer also an teuren kommerziellen Trainingskursen teilnehme, verschaffe sich einen großen Vorsprung gegenüber den anderen;
  • das Testergebnis sei abhängig von der Tagesform und somit unzuverlässig.
Auch die Mediziner waren in ihrer Einstellung gegenüber dem Test uneins. 
 

Die Psychologenschaft war in zwei Lager gespalten: Das eine lehnte die Verwendung von Tests zu Auswahlzwecken rundweg ab und forderte, Psychologen dürften sich an der Entwicklung und Durchführung solcher Verfahren grundsätzlich nicht beteiligen (so der Berufsverband Deutscher Psychologen). Das andere Lager nahm eine kritisch-konstruktive Haltung ein, definierte eine Reihe von Anforderungen, an denen ein neu zu entwickelndes Verfahren zu messen sei, und forderte eine gründliche wissenschaftliche Erprobung unter Ernstfallbedingungen. Zu diesem Lager gehörte die Deutsche Gesellschaft für Psychologie und ein von der Kultusministerkonferenz berufener „Kreis wissenschaftlicher Berater“.

Die Entwicklungs- und Erprobungsphase

1977 beauftragten Bund und Länder das Institut für Test- und Begabungsforschung mit der Entwicklung des TMS und, parallel dazu, mit breit angelegten Kontrolluntersuchungen. Zugleich sicherten sie sich fachlichen Rat und die kritische Begleitung der einzelnen Entwicklungsschritte durch mehrere Fachgremien, in denen die Medizin und die Psychologie ebenso vertreten war wie die Erziehungswissenschaft.

Wichtigstes Ergebnis des Expertendisputs und des Dialogs zwischen Wissenschaft und Bildungspolitik war der Beschluss der Kultusministerkonferenz im Jahr 1979, den Test in einem sechsjährigen Übergangsverfahren unter Ernstfallbedingungen zu erproben. Diese Entscheidung eröffnete die Möglichkeit, das neue Instrument im Blick auf all jene Aspekte zu untersuchen, die in der politischen und fachlichen Diskussion umstritten waren. Auf diese Weise wurde der Test für medizinische Studiengänge das am intensivsten und umfänglichsten beforschte diagnostische Instrument im deutschen, wenn nicht europäischen Bildungswesen.

Gegenstand der Studien waren unter anderem

  • die Messgenauigkeit des Tests und die Angemessenheit des Schwierigkeitsniveaus,
  • die Enge des Zusammenhangs zwischen der Testleistung und der Abiturdurchschnittsnote,
  • die Trainierbarkeit der Testleistungen,
  • die Fairness der Auswahl mittels des Tests gegenüber bestimmten Bewerbergruppen,
  • die Abhängigkeit oder Unabhängigkeit des Testergebnisses von der Tagesform,
  • die Prognosekraft des Testergebnisses bezüglich des Studienerfolgs,
  • die Akzeptanz des Tests bei den Bewerberinnen und Bewerbern.

Eine Besonderheit des sechsjährigen Übergangsverfahrens war, dass die Teilnahme am Test während dieser Zeit zwar freiwillig war, ein gutes Testergebnis aber die Zulassungschancen verbesserte. Über die sechs Jahre nahmen etwa 65.000 Personen am TMS teil.

Diese Ausgestaltung des Übergangsverfahrens bot die optimale Möglichkeit, Teilnehmende, die den Test, da chancenverbessernd, unter voller Motivation bearbeitet hatten und sich über das gesamte Leistungsspektrum verteilten, bis weit ins Studium hinein zu „verfolgen“ und auf diese Weise auch die Vorhersagekraft des Testergebnisses zu überprüfen. Das damalige Übergangsverfahren wurde zudem zu einem Modell für den Ernst-Einsatz von Studieneignungstests, das sich bis heute einiger Beliebtheit erfreut. Manche Hochschulen stellen ihren Bewerberinnen und Bewerbern die Teilnahme am Test frei. Sie können mit einem guten Testergebnis ihre Abiturnote verbessern.

Der TMS im Einsatz

Die durchweg positiven Ergebnisse der damaligen Erprobungsphase führten dazu, dass die Qualität des Tests für medizinische Studiengänge in wissenschaftlicher Hinsicht nicht mehr in Frage gestellt wurde und dass die Kultusministerkonferenz den Test als verbindlichen Bestandteil des Auswahlverfahrens bei der Medizinerzulassung ab dem Wintersemester 1986/87 einführte.

Elf Jahre lang wurde er bei der Zulassung zu den drei medizinischen Studiengängen als verbindliches Auswahlelement verwendet. Mehr als 300 000 Bewerberinnen und Bewerber bearbeiteten ihn während dieser Zeit. Eine große Zahl wissenschaftlicher Untersuchungen begleitete den Testeinsatz.

Im Jahr 1997 wurde er infolge des Rückgangs der Bewerberzahlen eingestellt. Seit 2007 ist er wieder Bestandteil des Auswahlverfahrens. Nun aber ist den Hochschulen die Verwendung freigestellt. 36 der 38 medizinischen Fakultäten an staatlichen Universitäten machen derzeit von dieser Möglichkeit Gebrauch, und zwar in unterschiedlicher Kombination mit anderen Auswahlkriterien wie etwa der Abiturdurchschnittsnote. Fast 23.000 Personen haben sich im Jahr 2021 für den TMS angemeldet.

Seit 1998 ist der Test für medizinische Studiengänge in leicht abgewandelter Form in der Schweiz Teil der Studierendenauswahl. Diese Testversion wurde in den Jahren 2006 bis 2012 auch an österreichischen Universitäten verwendet.

Aus zwei Gründen habe ich diese Phase der Institutsgeschichte sehr ausführlich geschildert:

Zum einen wurden hier in methodologischer, administrativer und rechtlicher Hinsicht Grundlagen geschaffen, auf denen die Entwicklung aller jüngeren Studierfähigkeitstests und deren Verwendung in Zulassungsverfahren aufbauen konnten:

  • Schaffung eines fehlerunanfälligen und zugleich rasch arbeitenden Systems zur maschinellen Testauswertung,
  • Bereitstellung völlig neuer, jedoch empirisch vorerprobter Aufgaben zu jedem Testtermin bei gleichbleibenden Messeigenschaften der verschiedenen Testversionen,
  • Umgang mit riesigen Teilnehmerzahlen bei gleichzeitiger Gewährleistung der Geheimhaltung der Testinhalte,
  • Bereitstellung umfangreichen Informations- und Vorbereitungsmaterials für die Teilnehmenden.

Zum anderen konnte dank der umfassenden empirischen Untersuchungen eine Reihe von allgemeinen Vorbehalten gegenüber Tests dieser Art ausgeräumt werden.

Was geschah seither?

Seit Anfang der 90er Jahre hat sich der Anteil der Personen mit „Hochschulreife“ an der entsprechenden Altersgruppe fast verdoppelt, beispielsweise im Zeitraum 1992-2018 von 31 auf 56 Prozent. In immer mehr Studiengängen überstieg die Bewerberzahl die Zahl an verfügbaren Plätzen, trotz des massiven Hochschulausbaus. Auch in Fächern, in denen die Aufnahmekapazitäten auf Bundesebene insgesamt ausreichten, waren die besonders gefragten Hochschulen zunehmend zur Auswahl unter den Bewerberinnen und Bewerbern gezwungen.

Als Folge dieser Entwicklung stieg der Bedarf an objektiven Auswahlverfahren wie eben Studierfähigkeitstests über die letzten Jahrzehnte stetig. Die Vielfalt an Studiengängen, in denen Tests unseres Instituts mittlerweile bei der Zulassung der Studierenden verwendet werden, ist beeindruckend. Zugleich wuchs der Bedarf der Studierwilligen an aussagekräftigen Instrumenten, die ihnen Orientierung bei der Fachwahl bieten. Diesem Bedarf kamen und kommen wir mit einer immer breiteren Palette an Angeboten entgegen.

Wo stehen wir heute?

Heute ist unser Haus aus der Eignungsdiagnostik in Bildung und Beruf ebenso wenig wegzudenken wie aus vielen Feldern der Personalentwicklung. Die fünfzigjährige Erfolgsgeschichte ist ihm nicht in den Schoß gefallen. Sie verdankt sich einer bedingungslosen Verpflichtung zur Qualität, hoher Kreativität und Flexibilität auf der immerwährenden Suche nach neuen, besseren Lösungen, der gelungenen Synthese von wissenschaftlichem Anspruch und Orientierung am praktischen Nutzen, einer ausgeprägten Kundenorientierung und … harter Arbeit.